SELIGSPRECHUNG VON GALENS
Vom Hitler-Gläubigen zum Hitler-Feind
Von Roman Heflik
Als "Löwe von Münster" ging Clemens August Graf von Galen in die Geschichte ein: als der Bischof, der öffentlich das Euthanasie-Programm der Nazis anprangerte. Jetzt wird er selig gesprochen. Doch von Galens Verhalten während der Nazi-Zeit ist umstritten.
Sonntag, der 3. August 1941: Bischof Clemens August Graf von Galen erklimmt die Stufen zur Kanzel der Lamberti-Kirche zu Münster, als schreite er zum Duell: ein finster dreinblickender, zwei Meter großer Hüne, die Stirn vor Wut gerunzelt. Die Nachricht, die er an diesem Tag zu verkünden hat, wird sich bald im ganzen Deutschen Reich verbreiten. Der Kirchenfürst kommt schnell zur Sache: Seit einigen Monaten höre man Berichte, dass aus Heil- und Pflegeanstalten auf Anordnung Berlins Geisteskranke getötet würden. Er selbst, berichtet der Bischof, habe wegen eines drohenden Transports aus der nahen Anstalt Marienthal Strafanzeige gestellt - vergeblich. Die Kranken würden als "unproduktive Volksgenossen" eingestuft und umgebracht, als seien sie ein Stück nutzlos gewordenes Vieh. Das streng geheime Euthanasie-Programm der Nazis war plötzlich publik.
"Hast du, habe ich nur so lange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind", fragt von Galen. Wenn solcher Mord vom Staat legalisiert werde, dann sei niemand mehr seines Lebens sicher, donnert er. Als er gegen Ende der Predigt an seine Zuhörer die Parole "Lieber sterben als sündigen!" ausgibt, ahnt er noch nicht, dass er mit seiner Ansprache in die Geschichte eingehen wird.
Denn durch den Aufruf gelingt es ihm, die Vernichtungsmaschine der Nazis ins Stocken zu bringen: Die Euthanasie-Morde hören auf. Die braunen Machthaber wollen nicht mitten im Krieg die katholische Bevölkerung gegen sich aufbringen. Mit von Galen werde man später abrechnen, notiert Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch. Etwa zwei Jahre später werden die Tötungen allerdings wieder insgeheim aufgenommen.
1946 wird von Galen zum Kardinal berufen. Zehntausende Münsteraner feiern die Ehrung ihres Kirchenfürsten. Doch die Freude währt nur wenige Tage. Dann stirbt von Galen an einem Blinddarmdurchbruch.
"Wir stehen hinter dem Führer"
Den Heldenmut ihres Bischofs haben die Münsteraner nie vergessen: Schon zu Lebzeiten gaben sie von Galen den Beinamen "Löwe von Münster" und errichteten ihm ein Denkmal vor dem Dom. 1955 wurde dann die Seligsprechung beantragt. Jahrzehntelang beschäftigte sich eine Kommission mit von Galens Fall, wälzte Unterlagen und hörte Zeugen, die nachweisen sollten, dass von Galen "im Ruf der Heiligkeit" gestorben sei. 50 Jahre später ist es so weit: Am Sonntag wird der zuständige Kardinal José Saraiva Martins während eines feierlichen Gottesdienstes im Petersdom verkünden, dass der "Löwe" fortan zu den Seligen gehört.
Dabei gibt es in von Galens Biografie durchaus auch Unseliges. Eine Regionalstelle der katholischen Friedensbewegung Pax Christi forderte gar dazu auf, die Seligsprechung abzublasen: Der Kirchenmann habe der Demokratie feindlich gegenüber gestanden und den Angriffskrieg der Nationalsozialisten offen unterstützt. Es stehe nun "die Glaubwürdigkeit der Kirche mit ihren Friedensbemühungen auf dem Spiel", heißt es.
Tatsächlich zeichnen Historiker ein komplexeres Bild von Galens, als es seine anstehende Beatifikation vermittelt. Keineswegs sei von Galen die ganze Zeit auf Konfrontationskurs mit den Nationalsozialisten gewesen, berichtet Hubert Wolf, Professor für Kirchengeschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. "Von Galen hat schwer und lang mit sich gerungen, ob er diesen Schritt tatsächlich gehen will", sagt Wolf.
Stattdessen biederte sich der Bistumsherr anfangs sogar heftig Hitler an. "Als Vaterlandsliebende stehen wir hinter dem Führer, den Gottes Vorsehung auf diesen Posten berufen hat", schwärmte er bei einer Ansprache im Januar 1934. Wie so viele andere Nationalkonservative hoffte der adelige Geistliche, unter einem Reichskanzler Hitler könne Deutschland den "schmachvollen" Versailler Vertrag endlich abschütteln.
Mit dem Rassenwahn der Nazis wiederum wollte er sich nie gemein machen: Offen attackierte er in seinen Predigten die Ideologien ihres Vordenkers Alfred Rosenberg, der von einer nordischen Herrenrasse phantasierte. Neuheidentum und Irrlehren seien das, urteilte der Bischof. "Die Nation ist nicht das Erste, sie ist kein Gott", warnte er. Dass diese Theorien von seinem so geschätzten Reichskanzler längst umgesetzt wurden, wollte der Geistliche nicht erkennen.
„Obrigkeit gehorchen, beten"
Erst als die Nazis immer mehr katholische Vereine und Bekenntnisschulen verboten, begann Galen an der friedlichen Koexistenz von katholischer Kirche und nationalsozialistischer Regierung zu zweifeln. Wie so viele andere Geistliche befand er sich in einem Dilemma: Laut den Römer-Briefen kommt jede staatliche Gewalt von Gott. Was aber, wenn die weltliche Obrigkeit die göttlichen Gebote zunehmend missachtet?
Von Galen, dessen intellektuelle Fähigkeiten anfangs von vielen seiner Kollegen als begrenzt eingeschätzt wurden, predigte seinen Gläubigen: "Treue halten, Taufgelübde halten, Obrigkeit gehorchen, beten." Insgeheim aber lieferte sich der starrsinnige Gottesmann längst einen bürokratischen Kleinkrieg mit Gauleitern und Ministern. Mehrmals bat er schriftlich Reichskanzler Hitler um den Schutz der Kirchen, den der Führer im Reichskonkordat zugesagt hatte - eine Antwort erhielt er nie.
Von seinen Amtskollegen konnte er kaum Hilfe erwarten. Ob die Nazis kritische Hirtenbriefe beschlagnahmten oder Schauprozesse gegen Geistliche führten - Kardinal Bertram, der zaudernde Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, der Vorgängerorganisation der Deutschen Bischofskonferenz, reagierte darauf höchstens mit einer diskreten Eingabe bei der Regierung. Mit einer kleinen Gruppe gleichgesinnter Bischöfe wandte sich der entnervte von Galen schließlich direkt an Papst Pius XI. und erreichte 1937 die Veröffentlichung der Enzyklika "Mit brennender Sorge", in der sich der Pontifex deutlich vom NS-Regime distanzierte.
Doch die Verhaftungen von Priestern und Enteignungen von Kirchengütern sollten andauern. Auch von Galen, von der NS-Presse längst als "übler Hetzredner" diffamiert, bereitete sich darauf vor, von der Gestapo abgeholt zu werden.
Nach dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 erwachte dagegen wieder von Galens patriotisch-nationalistische Seite. Deutsche Männer seien nun auf der Wacht, "um das Vaterland zu schirmen und unter Einsatz des Lebens einen Frieden der Freiheit und Gerechtigkeit für unser Volk zu erkämpfen", erklärte er in einem Schreiben an seinen Klerus, das sich wie ein Marschbefehl liest.
Kreuzzug gegen gottlose Bolschewiken
Ihren Höhepunkt erreichte von Galens Kriegsbegeisterung 1941, als Hitler seinen mörderischen Russlandfeldzug startete - in den Augen des Bischofs ein Kreuzzug gegen den gottlosen Kommunismus. Er bete um eine erfolgreiche Abwehr "der Pest des Bolschewismus", verkündete er im September 1941 - gerade mal zwei Monate nach der Brandpredigt gegen die Euthanasie. Für ihren "heroischen Opfermut" lasse Gott den christlichen Soldaten "ewige Herrlichkeit und Lohn zuteil werden, ganz ähnlich wie den heiligen Märtyrern"
Als vier Jahre später die Alliierten Deutschland besetzten, zeigte sich von Galen erschüttert. Ein amerikanischer Reporter, der ihn interviewen durfte, erinnert sich: "Der Bischof machte klar, dass, obwohl er und andere gebildete Deutsche Anti-Nazis sein könnten, sie trotzdem treu deutsch gesinnt sein müssten gegenüber dem Vaterland und sie die Alliierten als Feinde betrachten müssten."
Historiker Wolf weiß um die schwierigen Passagen in von Galens Biografie. Einen Grund gegen eine Seligsprechung mag er darin nicht erkennen. "Die Frage ist doch: Soll da ein perfekter Mensch ausgezeichnet werden? Oder will man den normalen Gläubigen nicht eher jemanden als Vorbild hinstellen, der in einer gefährlichen Situation die christliche Botschaft verkündet und Zivilcourage bewiesen hat?"
Denn von Galen sei ganz klar gewesen: "Wenn ich mich hier rauslehne, riskiere ich mein Leben." Sicherlich habe von Galen bis 1936 die Realitäten verkannt, sagt Wolf. Andererseits müsse man auch das Umfeld betrachten: In ganz Deutschland habe es so gut wie keinen anderen Bischof gegeben, der klarer Stellung gegen die Nazis bezogen habe als von Galen, betont der Historiker. "Die dunklen Seiten bleiben, aber er war eben nur ein Mensch - und zwar einer mit Ecken und Kanten."
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