Lange schon ist es her. Wilken studierte im Sauerland. (Auch das war/ist möglich.) Er besaß ein für heutige Verhältnisse mehr als einfaches Radio. (Ob nun jemand aus einem einfachen Radio Schlauheiten spricht oder aus einem modern mit noch so viel Tasten ausgestattetem supermodernen Radio Unsinn verkündet, ein Radio kann nie etwas dafür.) Aus seinem einfachen Radio hörte Wilken, Freund von Wilko, an einem Nachmittag zur Winterszeit - es lag auch Schnee - in einer mittelgroßen Stadt im Sauerland in seinem Zimmer in einem Haus, das am Berghand lag, dessen Zuwegung vor dem Haus auf der anderen Seite einen Friedhof abgrenzte einen Vortrag über Wie schön ist doch Musik!
Sicher, der Vortrag war verständlich aufgebaut, nicht zu lang, gut gesprochen, aber auch mit vielen musik-eigenen Spezialausdrücken gewürzt. Wilken hatte alles verstanden und in sich aufgenommen. Musik ist wirklich schön! Das hatte der Vortragende erklären wollen und hatte es auch erklärt. Lange Zeit bewahrte Wilken das Wesentliche des Vortrags bei sich. Eine noch längere Zeit, jetzt zurückdenkend, allerdings hat Wilken das alles schon vergessen, das, was der Vortragende gesagt hat. Nicht vergessen hat Wilken die Bilder, die sich am Anschluß an diesen Vortrag vor seinen Augen abspielten:
Wilken hatte einen noch älteren, noch älter aussehenden Plattenspieler. Nach diesem Vortrag über Musik hörte er Arien aus Opern von Mozart. (Ein paar Platten hatte er sich leisten können – auf Ratenzahlung.) Musik von Mozart bei schlechter Luft in einem kleinen Zimmer - Wilken öffnete das Fenster. Die Musik bahnte sich ihren Weg nach draußen in die Winterlandschaft, den Berghand hinab auf den gegenüber liegenden Friedhof. (Wilken stellt noch heute gern Musik etwas lauter als allgemein erlaubt: er möchte andere mithörne lassen, sie hören lassen, wie Wie schön ist doch Musik!) Wilken trat ans Fenster, um frische Luft mit Musik im Rücken einzuatmen. Ein älterer Mann, ziemlich groß, weißhaarig, mit seiner etwas kleineren Frau kam die vor dem Haus liegende Zuwegung vor dem Friedhof herauf. Weniger trafen sich ihre Blicke, die der weißhaarigen männlichen Erscheinung, die von seiner Frau unten und die von Wilken, er oben im Haus aus dem Fenster sehend. Aber er, der Alte Herr hörte die Musik von Mozart aus dem Zimmer von Wilken oben in dem von ihm aus links liegenden Haus am Berghang - seine Frau reagierte darauf nicht, sie hörte sie wohl nicht -; er hörte, hörte . . . . . und sah zum Fenster hinauf - Wilken hatte wieder das Radio laut, eigentlich zu laut gestellt - , er sah Wilken am Fesnter stehn, zunächst nicht, dann auf einmal hob er seine rechte Hand und winkte Wilken zu, so als wolle er sagen Wie schön ist doch Musik ! -
Auf jeden Fall die von Mozart !
Wirklich, Musik ist schön! Sie verband zu damaliger Zeit den älteren, weißhaarigen Herrn und den damals noch jungen Studenten - damals hatte er auch noch so viele Haare wie der ältere Herr! Heute tut ihm ein Hut ganz gut! - und Wilken war glücklich, daß er mal mit dem Lautstellen von Radio Erfolg gehabt hatte: jemand war mitgebeistert von seiner Musik! Herzlich winkte er zurück, beide lächelten. Er, der Herr unten sprach zu seiner Frau; was? , Wilken konnte es nicht hören, aber auch sie richtete ihre Blicke danach nach oben in Richtung des Fensters, aus dem die Musik kam und in dem Wilken stand. Ein Lächeln, das war erkennbar, überzog ihr Gesicht und auch immer noch das des Herrn, dessen Haar sich nicht vom weißen Schnee abhob. Wilken sah sie noch einige Sekunden, aber selbst ältere Menschen gehen zu schnell, um solche Momente länger festhalten zu können. Sie verschwanden langsam, eben zu schnell, den Berghang hinauf in der weißen Winterlandschaft. Aber verschwunden sind in Wilkens Erinnerung diese verbindenden Momente nie. Er hat sie sich bewahrt: die Momente des Vortrags, dessen Inhalt vergessen ist, danach das lächelnde Paar in der Winterlandschaft, die Musik von Mozart und Wilken am Fenster, hörend, sehend und alles in sich aufnehmend! Musik ist . . . . . ! -
Und dann war da noch der Brief von Wilken an Claus zu seinem Geburtstag. Der letzte und schönste Beweis dafür, daß Musik . . . . .
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